Abesalom erzählt

Der Esel

Unterschiedliche Gründe gibt es, warum Menschen ihrer Heimat den Rücken kehren: Krieg, Verfolgung und Naturkatastrophen sind Gründe für die Migration. Doch warum begibt sich ein Mensch freiwillig in die Migration und verlässt seine geliebte Heimat? Warum verlegte Abesalom seinen Lebensmittelpunkt von Georgien nach Deutschland? Das erzählt er hier in seinem Beitrag zum Projekt Erzähle Deine Geschichte, welches von der Autorin Barbara Peveling sowie dem Fotografen Dirk Vogel in Zusammenarbeit mit dem Verein Willkommen in Olpe e.V. initiiert wurde.

 

Alles fing damit an, dass Herr Benz sich Anfang 1880 entschloss, einen Verbrennungsmotor zu bauen. Später kam Herr Daimler und es entstand ein Fortbewegungsmittel, das bis heute der Name eines Autos ist. 100 Jahre danach bin ich geboren und das könnte kein Zufall sein! Ich war das fünfte Kind und der einzige Junge.  Meine Mutter dachte, ich wäre ein Albino. Haare, Augenbrauen und Wimpern waren Schneeweiß. Alle meine Schwestern haben schwarze Haare und schwarze Augen. Außer meine große Schwester, sie war ein wenig heller. Kurz gesagt, ich war sehr außergewöhnlich. Ich hatte unglaubliche Ähnlichkeit mit meiner Oma!

  • Oma !!!
  • Ja
  • Liebst du mich?
  • Über alles! Du bist alles für mich!

Sagte sie und küsste mich auf die Stirn.
Das stimmte auch!  Als ich geboren wurde, war fünf Tage der Tisch gedeckt und es wurde getrunken und gegessen. Sie hat das ganze Dorf eingeladen. Alles wurde geschlachtet, gekocht und gebraten! Nach einer Woche hat sie ein Testament geschrieben und alles – Haus, Hof, Land, Weinberg, alles, was sie besaß – für mich bestimmt!

  • Oma?
  • Ja!
  • Ich möchte Esel haben!
  • Esel?
  • Ja, Esel, mit Kutsche
  • Und wer soll sich um den Esel kümmern?
  • Ich! Antworte ich und schaute ihr in die Augen.
  • Sie lächelte mich an und sagte: Das ist schwer.
  • Ich weiß es nicht. Denn ich hatte noch keinen Esel! – Antworte ich !

 

Abesalom, Meschede, 2021. Fotografiert von Dirk Vogel.

 

Es war eine sehr schwierige Zeit. Georgien hatte die Unabhängigkeit erkämpft, aber Russland machte Probleme! Krieg!!! Viele Menschen, Bekannte und Verwandte wurden ermordet, es gab kein Essen, keinen Strom, kein Benzin fürs Auto.  Aber im Bauernhof bei Oma konnte ich alles vergessen.

  • Abesalom! Junge! Aufstehen! Komm mal runter!

Es war 6 Uhr morgen. Ich habe die Augen aufgemacht, aber ich war sehr müde. Nachts war es sehr heiß und ich konnte kaum schlafen. Aber meine Oma hörte nicht auf, mich zu rufen. Ich bin aufgestanden und runter in den Hof gegangen!

  • Omaaa!……  schrie ich und konnte mich nicht mehr bewegen!!! Er stand da und kaute frisches Gras. Meine Augen füllten sich mit Wasser und ich konnte nichts mehr sehen. Ich wollte schreien, aber es kam keine Stimme raus. Ich wollte hüpfen, laufen, aber konnte keinen Schritt machen.
    Oma umarmte mich und klopfte kräftig auf den Rücken. Ich holte Luft und die Tränen flossen.
  • Wie heißt er, Oma? fragte ich weinend.
  • Er …. Er heißt Esel!

Wir beide lachten und weinten.

Meine Oma starb letztes Jahr im Altersheim, allein.

Sie wollte zurück auf den Bauernhof… 

Taxi

Sontag Morgen.

Die ganze Nacht hat es geregnet.

Ich habe auch die ganze Nacht gearbeitet.

Die Stadt ist leer.

BUM BUM BUM Die Musik lässt mich nicht los.

Es ist immer so, bis zum nächsten Tag werde ich dieses BUM BUM hören.

Feierabend Red Bull zwingt meinen Körper, gerade zu stehen und auf das Taxi zu warten.

Nach zwei Zigaretten kommt das gelbe Taxi.

Der Fahrer und ich nicken uns zu und bestätigen uns so gegenseitig, dass ich auf ihn warte und er mich abholt.

Ich setzte mich nach hinten.

Ich möchte nicht, dass der Fahrer mein geöffnetes Bier merkt.

– Guten Morgen

– Guten Morgen

– Tußmansstrasse bitte

– Gerne: – Und er macht die Zähl-Uhr an.

Mein Kopf fällt nach hinten.

Nur für wenige Sekunde mache ich die Augen zu.

-Mit geöffneter Flasche darf man nicht einsteigen. Belehrt mich die Fahrerstimme.

Mist, hat er es doch gesehen, denke  ich und hebe meinen geschwollenen Kopf und erst jetzt sehe ich den Fahrer. Er ist ein ziemlich großer Man mit einem riesigen Nacken, es gibt keinen Platz mehr zwischen dem Lenkrad und seinem Bauch. Ganz dünne Arme hat er und weiche, häutige Hände. Sein Gesicht kann ich vor lauter roten Wangen nicht erkennen.

Ich will mein Bier trinken und kann nicht diskutieren.

Wenn man in einem Club arbeitet, in dem Musik laut gespielt und ohne Pause getanzt wird, in der gedämpfter Schweiß von der Decke tropft, und in der alle möglichen Arten Drogen und Alkohol sich im Blut mischen, dort wird auch heftig diskutiert. Und zwar diskutiert über alles. Warum machst du so viel Eiswürfel rein?

Mach ein bisschen mehr Gin!

Kannst du für 10€ 10 Kurze geben?

Darf man, wenn man arbeitet, kiffen?

Du hast heute scheiß Laune Bruder?

Was machst du nach dem Arbeiten?

Ich möchte mehr Eiswürfel rein!

Ja komm, schmeiß mich raus, mir ist es auch egal!!!

-Halten Sie bitte an, ich stelle das Bier draußen hin, oder noch besser, halten Sie bitte bei einem Mülleimer an, da kann ich es rein schmeißen. Ich sagte das zum Taxifahrer, obwohl ich das gar nicht machen wollte.

-Nein, ist es alles okay, ich sage das nur, damit du für das nächste Mal Bescheid weißt. Nicht alle Taxifahrer sind so nett wie ich. Die meisten sind Arschlöcher.

Er drehte sich kurz um, versuchte mich auf der Rückbank anzuschauen, aber so weit nach hinten konnte er seinen Kopf nicht drehen und auch ich konnte nicht in seine Augen sehen.

Vielleicht wollte er mir ja zuzwinkern?

Ich lächelte lustlos und sagte: Ich habe gedacht alle Taxifahrer sind Arschlöcher? Ich dachte überhaupt nicht so und wollte nur witzig sein.

Jaaaa, das stimmt… Alle, außer die, die über 150kg auf die Waage bringen!  Er lachte so so laut, dass das Bum bum in meinem Kopf kurz weg war.

Welche Klasse hat das Auto? Ich stelle die Frage jedes Wochenende, wenn ich nach der Arbeit mit dem Taxi nach Hause fahre. Meisten ist das entweder E oder C.  Und die erzählen mir dann bis zu meinem Zuhause, welche besser ist und warum und welche ich kaufen soll, wenn ich ein Auto kaufen möchte. Bis jetzt weiß ich nicht, welche besser ist, die E oder C Klasse. Ich weiß nur, dass beides Mercedes Benz ist!

Hier steige ich aus! Unterbrach ich ihn bei seinem Vortrag über Probleme der E oder C Klasse.

Hier?  Okay – Er bremste und ordnete sich recht am Rand ein.

Wolltest du nicht in Tußmannstraße ? Fragte mich und hielt seine Zeituhr an.

-Ja, aber ich möchte mein Bier trinken und dabei eine rauchen und bisschen gehen. Ich machte die Tür auf. Die kalte und frische Luft machte mich wach. Ich hätte doch meine Jacke mitnehmen sollte.

12€ bitte.

Ich holte aus meiner Hose 15€: Bitte schön, stimmt so, tschüss.

Es war kalt.  Ich konnte kaum noch laufen! Die Zigarette wollte auch nicht mehr angehen und das Bier schmecke mir auch nicht mehr.

Schlafen-tief-geschlafen….

Heimat und Migration

Da fühle ich mich Zuhause, alle Jahreszeiten mag ich, kalte Winter, diese regnerischen Frühlinge, die ab April über jeden Regenbogen lächelnde Sonne, die bald so liebevoll warm ist, dass du das Gefühl hast, dass dich jemand umarmt. Frauen laufen mit kurzen Röcken und ihr Blick bringt mir das Herz zum Rausspringen.  Verliebt sind alle! Langsam wird es heiß, sehr heiß und alle verlassen die Hauptstadt Richtung Berge, Meer, Wälder, Früchte, Salat und kalten Weißwein am Abend. Grün wird Gelb Rot. Die Luft riecht nach Trauben und süßem Saft. In Amphoren aus Ton wird durch Revolution aus Traubensaft Wein entstehen. Wenn es langsam wieder kalt wird, flüstert mir der Wind beim Grillen und frischem Rotwein ins Ohr, dass der Winter bald wieder da ist! Bäume haben keine Blätter mehr, nur die Kaki Bäume leuchten gelb!

Ich liege auf einem Bett. Das ganze Zimmer ist weniger als 6 Quadratmeter groß. Es liegt in der Mitte von Europa, Deutschland, der Heimat von Mercedes Benz, in einem alten Haus. Ich starre an die Decke und denke…

Ich habe das alles verlassen, meinen Weinberg habe ich allein gelassen! Keiner wird sich mehr um die Weinreben kümmern, die genauso alt sind wie ich.  Meine Eltern! Und meine alte Oma im Bauernhof….

Warum habe ich das damals getan? War es nicht richtig?!

Hätte ich nicht sie getroffen, hätte ich das alles vielleicht nicht ausgehalten! Liebe verändert mich!  Sie heißt Linda! Mein erstes Kind Lila Laila und die Kleinste Lille, Liebe!

Abesalom entschied sich für die Migration
Abesalom

Abesalom Dabakhishvili, wurde 1981 in Tbilisi, Georgien geboren. Von 1999 bis 2003 Studium an der Staatlichen Ivane Javakhishvili Universität, Fakultät Geschichte, Tbilisi. Anschließend Regisseur, Live-Regisseur, Drehbuchautor und Journalist beim georgischen Fernsehsender "MZE". Seit 2012 freiberuflich im Bereich Film und Video Produktion tätig. Von 2009 bis 2014 Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln. "Ouroboros" ist sein Diplomfilm. Seit 2019 Wissenschaftlicher Mitarbeiter FH Südwestfalen.

Impressionen aus meinem Leben... 

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