Rebecca erzählt
Von Null auf Hundert
Das Wort Auswanderung kannte Rebecca von Kindesbeinen an. Denn nach der Scheidung ihrer Eltern, Rebecca war noch ein kleines Mädchen, gingen diese in die Emigration. Die Mutter nach Deutschland, der Vater nach Italien. Jahre später dürfte Rebecca zu ihrer Mutter ins Ruhrgebiet, wo sie die Grundschule besuchte. Nie waren die Umstände einfach, aber mit Resilienz und Ausdauer machte sie ihr Abitur. Nach ihrer Ausbildung arbeitet sie heute als Unternehmensberaterin und widerlegt das Vorurteil, wonach jeder der aus Rumänien auswandert, keine Ambitionen besitzt und nur als billige Arbeitskraft taugt. Hier ist Rebeccas Geschichte aus Südwestfalen.
Ich heiße Amalia-Rebecca Pascu, werde aber Rebecca genannt.
Wie der Nachname schon verrät, bin ich gebürtige Rumänin, ich bin in einem kleinen Dorf namens Celaru aufgewachsen, Celaru ist ein kleiner Ort ungefähr eine Autostunde entfernt von der Stadt Craiova. Wenn man von der Hauptstraße abbiegt, geht es erst über die Asphaltstraße, dann auf die Sandstraße, diese verläuft ca. 1 km bis an der nächsten Kreuzung nichts mehr ist, bis auf leere Felder, hier biegt man rechts ab und kommt auf meine Heimatstraße… Um genau zu sein handelt es sich um den Ortsteil Soreni, dieser besteht quasi aus einer Straße, sie ist aus Sand, rechts und links sind Zäune und Mauern, die Tore haben unterschiedliche Farben, jeder hat statt einer Klingel einen Wachhund, der bellt, wenn man am Tor steht und rein möchte. Um bei jemanden vorbeizuschauen ist es ganz einfach, man ruft einfach ganz laut den Namen, sodass alle Nachbarn mitbekommen wer grad gesucht wird. Irgendwann kommt schon jemand raus und wenn’s nur die Nachbarn sind, die sagen, der sei gerade auf dem Markt oder in die Stadt gefahren. Nach der Scheidung meiner Eltern bin ich hier aufgewachsen mit meiner Tante und meinem Onkel, nachdem meine Mutter nach Deutschland und mein Vater nach Italien ausgewandert ist.

Amalia-Rebecca Pascu, Elspe, 2021. Fotografiert von Dirk Vogel.
Selbstverständlich habe ich meine Tante Mama genannt, sie hat mich zusammen mit meinen 3 älteren Cousinen großgezogen. Ich war immer fasziniert, meiner Tante und meinem Onkel bei der Arbeit zuzuschauen. In der ganzen Umgebung haben die beiden nämlich für alle Anlässe Kleidung geschneidert und ich wollte das auch, also ließ ich mir beibringen, wie man näht, im Winter saßen wir am Kamin nebeneinander und ich habe von den Reststoffen Klamotten für die Puppen gemacht, ich hatte Spaß dabei kreativ zu sein. In der Schule gab es immer ein Fach, das mich besonders begeistert hat, nämlich Kunst. Hier habe ich auch an Malwettbewerben teilgenommen.
In den Ferien, die in Rumänien drei Monate dauern, also von Juni bis August, kam irgendwann die erfreuliche Nachricht für mich, dass ich nach Deutschland zu meiner Mutter auswandern darf.
Meine neue Familie
Ich weiß noch, als wäre es gestern, wie ich auf dem Sofa saß und voller Vorfreude eine SMS vom Nokia geschickt habe. Was es aber wirklich heißen würde, wusste ich bislang noch nicht.
Da Rumänien noch kein EU-Mitglied war, war die Organisation der Unterlagen für die Auswanderung alles andere als einfach. Wir sind quer durchs Land von Craiova über Bukarest und Timisoara gereist und haben im Auto übernachtet, um ein Visum für mich zu bekommen und ein Ticket nach Deutschland.
Was der Abschied heißen würde, wusste ich noch nicht. Ich kam im August 2006 nach Deutschland. Die Anreise dauerte zwei Tage mit dem Bus, das bedeutete, unbequem zu schlafen, etliche Zollkontrollen an jeder Grenze zu allen möglichen Uhrzeiten, Grenzpolizei, die in den Bus einsteigt, um die Pässe einzusammeln, jeden einzelnen Mitreisenden nochmal kontrolliert, bevor er sein Pass zurückbekommt und ein Stempel im Pass ist. Die Koffer bzw. es waren sehr große Plastiktüten, die mit Klebeband geschlossen waren, denn nur die wenigsten besaßen einen richtigen Koffer, mussten auch bei den Kontrollen gelegentlich geöffnet werden, was das Warten nicht verkürzte…und als Kind war es ganz schön langweilig, in so einem Bus zu sitzen.
Nun war ich da, ganz viele neue Eindrücke, die Autos, die Sprache, die Menschen, die Wohnung, das Wetter, aber vor allem war da meine neue Familie.
Von nun an lebte ich mit meiner Mutter und meinem Stiefvater zusammen, dieser ist Italiener.
Wir wohnten damals im Ruhrgebiet in Herne. Ich war sehr aufgeregt aber hatte einen Kulturschock zugleich, positiv, da ich auf dem Dorf sehr ländlich groß geworden bin, ohne fließendes Wasser zum Beispiel, die normalsten Dinge, wie ein Badezimmer, waren völlig neue Eindrücke.
Ich begann zur Schule zu gehen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, ich wusste nicht einmal was „ja“ oder „nein“ heißt. Zu dem Zeitpunkt gab es eine extra Klasse für ausländische Kinder, also waren wir von der 1-4 Klasse gemischt. Da ich keine Kinder kannte, die rumänisch sprachen, war ich gezwungen Deutsch schnell zu lernen, somit hatte ich es als einzige geschafft innerhalb eines Jahres Deutsch zu lernen und direkt in eine normale Klasse zu kommen. Ich war als Kind sehr schüchtern, also war es mir unangenehm, dass ich so schnell die Sprache sprechen konnte und habe mich zu Hause nie getraut Deutsch zu sprechen.
Auswanderung und Folgen: Ich wusste, ich bin auf mich allein gestellt
Ich hatte natürlich auch mit Vorurteilen zu kämpfen, egal wie sehr ich mich bemühte, niemand ist perfekt, man macht andauernd Fehler. Ich war sehr ehrgeizig und wollte vieles lernen, ich kam von der Schule, machte meine Hausaufgaben und hörte nicht auf zu lernen, ich schrieb mir die Zahlen auf, wie man sie ausspricht: ains, țwai drai,fier,funf, zex, ziben,…
Ich hörte mir Kinderlieder an und hatte dazu die passenden Bücher mit den Songtexten, hörte es so oft, bis ich es mitlesen und sprechen konnte. Natürlich wusste ich, dass meine Eltern bereits Deutsch sprachen, aber wenn es um meine Hausaufgaben ging, merkte ich schnell, dass es Verständnisprobleme gab, und man konnte mir nicht wirklich helfen. Andere Verwandten, die gerade da waren, konnten mir erst recht nicht helfen, also wusste ich, ich bin auf mich allein gestellt und muss es selbst verstehen und lösen…was dazu führte, dass ich in der Schule sehr ambitioniert war
Ich wollte nie eine Ausrede für etwas haben. Meine Eltern haben sich getrennt und haben mich zurückgelassen. Ich habe mich in eine neue Familie integriert, habe Familie neu betrachten gelernt und das nicht nur aus rein biologischer Sicht. Ich bin zur Schule gegangen, bin umgezogen, habe bei null anfangen müssen. Es war hart, aber ich war die Erste und Einzige, die innerhalb eines Jahres Deutsch gelernt hat und es sofort in eine normale Klasse geschafft hat. Ich war dort aber wieder die Schlechteste, wieder auf null, wieder eine neue Herausforderung. Im nächsten Jahr bin ich wieder aufgestiegen wurde schnell die Klassenbeste. Ich habe es direkt aufs Gymnasium mit einer Empfehlung geschafft. Ich fühle mich so sicher dann hatte ich wieder eine neue Familie, meine Pflegefamilie, weil ich es auf das Gymnasium schaffen wollte. Ich habe gelernt, mit Menschen und anderen Familien umzugehen, andere Sichtweisen zu entwickeln. Neben der Schule habe ich mit 17 eine Ausbildung zur Sprachkorrespondentin abgeschlossen.
Dann habe ich eine Ausbildung angefangen, in Dortmund, wieder eine neue Schule, wieder niemanden, den man kennt. Here we go again: Von Null an. Ich war sehr gut in der Schule und dann bin ich von zu Hause abgehauen, ich war nervlich am Ende, hatte keine Unterstützung, wieder von vorne. Ich habe im Büro übernachtet, bis ich meine erste Wohnung hatte. Es ging langsam bergauf, in der Schule lief es auch gut ich durfte die ersten Fernreisen machen und ab dem zweiten Halbjahr war ich quasi nur noch unterwegs und zwischendurch nur noch für Klausuren da.
Ja, ich bin jung, ja ich bin eine Frau und ja, verdammt ich bin auch Osteuropäerin, aber gerade deswegen möchte ich diese Menschen davon überzeugen, dass diese Vorurteile nicht stimmen: „Osteuropäische Pflegekraft, Billiglohn. Die haben ja keine Erwartungen und geben sich mit dem Minimum an Verdienst zufrieden.“
Corona 2020: absolute Einreiseverbote, keine Ausnahmen! Aber was ist mit dem Spargel? Wer soll es ernten? Das ist ne scheiß Knochenarbeit da auf den Feldern. Harz4 Empfänger (die nicht wegen Krankheit oder anderen extremen Fällen und Nöten darein geraten sind. Sondern die, die theoretisch jeden zumutbaren Job annehmen sollen, um sich an unsere Wortschöpfung zu beteiligen und etwas für die Gesellschaft an Steuern dazu gibt. Auch wenn’s nur 20€ sind. Kleinvieh macht auch Mist. Ja dafür kann man eine Ausnahme machen, selbst die AfD ist dafür. man sollte die Rumänen einreisen lassen, weil während Corona ja keiner seinen Job verloren hat oder nicht die Faulheit genießt, denn Vaterstaat zahlt ja auch viel besser, wenn ich nicht arbeiten gehe, bekomme eine Kürzung und muss auch etwas machen. Neee das wäre zu einfach. Ich fand es erschreckend, dass wir dafür wieder gut genug waren!
Aber hier bin ich, der lebende Beweis, dass nicht alle Rumänen billige Arbeitskräfte ohne Erwartungen sind. Ich bin Unternehmensberaterin, verdiene sehr gut, und habe sehr hohe Erwartungen, vielleicht so hoch, dass manche es sich gar nicht vorstellen können, weil sie nicht wie ich gewohnt, sind, im Leben vor allem eins zu müssen: Von Null auf Hundert!

Rebecca.
Amalia-Rebecca Pascu ist mit 23 Jahren Junior Consultant und berät weltweit Unternehmen. Sie wurde auf der DRV Jahrestagung in Griechenland zum „Young Talent“ ernannt, als eine von 8 Nachwuchskräften deutschlandweit. Von kleinsten Reisebüros bis hin zu großen Reiseveranstaltern, DMCs und Hotels im In- und Ausland, sind ihre Kunden.